2005 war das Jahr der unumstößlichen Erkenntnis, dass die ersten Autos Sachsens bereits vor 105 Jahren in Coswig gebaut wurden! Dass sie auch noch "Coswiga“ hießen, kann uns Coswiger schon mächtig stolz machen! Es war höchste Zeit, dass an den fast vergessenen Automobilpionier Emil Hermann Nacke erinnert wurde. Mit der Gemeinschaftsausstellung des Verkehrsmuseums Dresden und dem Stadtarchiv Coswig, die 2005 ein halbes Jahr in Dresden und Coswig zu sehen war, wurden die Verdienste des ersten sächsischen Autobauers erstmals umfassend gewürdigt.Wie überfällig diese späte Würdigung war, erfuhren die Initiatoren der Ausstellung durch großes Presseecho und überwältigendes Publikumsinteresse.
Trotz allem wurde damit nur eine Seite der Verdienste Nackes beleuchtet. Bevor Nacke 1900, immerhin schon im Alter von 57 Jahren, begann, Autos zu bauen, hatte er bereits bewiesen, dass er ein begnadeter Maschinenbauingenieur war. Bei den Vorbereitungen zur Ausstellung stießen wir auf einen umfangreichen Beitrag zur Geschichte der Papierfabrikation in der Zeitschrift "Der Papierfabrikant“ von 1924. Darin werden sehr ausführlich Nackes Verdienste gewürdigt – aber die für die Papierindustrie! So ist zu lesen: "Wenn einmal die Geschichte der Entwicklung der Papierindustrie innerhalb der letzten 50 Jahre in Deutschland geschrieben wird, so wird man nicht übersehen können, welche Rolle für die Einführung neuer Methoden für die aufblühende Papierindustrie der bekannte Industrielle Emil Nacke zu spielen berufen war. Sein Hauptverdienst besteht darin, die Einführung der Strohstoffindustrie in Deutschland praktisch durchgeführt zu haben. … Er wirkte als Pionier, als an die Möglichkeit der Strohstoffgewinnung in Deutschland noch niemand so recht glauben wollte und hat den Weg geebnet für eine Industrie, die heute einen blühenden Zweig der papiererzeugenden Unternehmen darstellt.“
Dazu muss man wissen, dass Nacke 1869 noch als Student des Polytechnikums Dresden den Auftrag bekam, eine Strohstoffgewinnungsanlage für die Thodesche Papierfabrik in Hainsberg zu entwerfen. "Dieser Entwurf fand die Billigung der Auftraggeber, die nun dem jungen Ingenieur auch gleich die Ausführung dieses Fabrikbaus und die Bauleitung übertrugen. So entstand die erste Fabrik in Deutschland, die Strohstoff herstellte.“
Aus Stroh wurde erstmals eine bleichfähige Zellulose erzeugt, die Verwendung für feinste Papiere finden konnte. Diese Art der Strohstoffgewinnung setzte sich in Deutschland durch und die Gründerjahre wurden auch solche für Emil Hermann Nacke. Durch ihn entstanden mehrere Strohstofffabriken, auch die in Kötitz, die immerhin bis 1990 ihren Dienst tat. Sie fand mit ihrer Fertigstellung Aufnahme in die am 1. 11. 1885 gegründete Aktiengesellschaft "Vereinigte Strohstoff-Fabriken“, der alle Strohstofffabriken Deutschlands angehörten.
Von 1885 – 1890 gehörte Nacke dem Vorstand dieser Vereinigung an. "1890 legte Nacke seinen Vorstandsposten … nieder, um sich nun ganz der Leitung seiner Maschinenfabrik zu widmen. Gleichzeitig legte er den Grund zu seiner jetzigen Fabrik in Kötitz bei Coswig in Sachsen, gerade gegenüber den Anlagen der Vereinigten Strohstoffabriken.“ - Und so schließt sich der Kreis zu dem uns schon "bekannten“ Nacke als Automobilpionier. Der Artikel aus "Der Papierfabrikant“ schließt mit der Hoffnung: "Dem nun Einundachtzigjährigen, der noch in voller geistiger und körperlicher Frische mit Umsicht und Energie als unermüdlicher Ingenieur seinem verzweigten Betrieb vorsteht, ist zu wünschen, dass ihm die Anerkennung zuteil wird, die er sich in seinem langen und arbeitsreichen Leben um die deutsche Papier- und Strohstoffindustrie wohl verdient hat.“
Über 80 Jahre, nachdem der Verfasser des Artikels diesen Wunsch äußerte, sind seitdem vergangen. Mehr als 70 Jahre sind es nach dem Tod des Mannes (Emil Hermann Nacke starb am 30. Mai 1933), der den Automobilbau in Sachsen begann, die Papierherstellung in Deutschland revolutionierte und sich dabei immer ein menschliches Antlitz bewahrte. Und wenn es bisher noch niemand tat, soll das ein kleiner Beitrag dafür sein, dass diesem außergewöhnlichen Menschen, dem "ganzen“ Nacke eben, heute noch Achtung und Bewunderung für sein Lebenswerk entgegengebracht wird.
Petra Hamann, Stadtarchiv